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Wo ist Spielraum für mehr Klimaschutz?

Das Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gegen die Schweiz im April 2024 hat heftige Reaktionen ausgelöst. Der Staat muss mehr für den Klimaschutz tun, urteilt der Menschenrechtsgerichtshof. Jetzt ist guter Rat teuer - welchen Spielraum hat die Politik in der Schweiz? Und was bedeutet das für alle anderen Länder?

 

Der Blick in die Schweiz ist auch ein Blick in alle europäischen Länder. Denn alle kämpfen mit den Auswirkungen der Klimakrise und tun doch zu wenig, um die C02-Emissionen deutlich zu senken. Dieses Urteil hat eine Beispielwirkung und eine Strahlkraft, die weit über die Grenzen der Schweiz hinausgeht. Denn: Der EGMR mit Sitz in Straßburg gehört zum Europarat und ist für die Einhaltung der Menschenrechtskonvention zuständig. Zu ihm zählen die EU-Staaten, aber auch andere große Länder wie die Türkei oder Großbritannien. Das Urteil könnte nun also ein Präzedenzfall für weitere Klimaklagen nicht nur vor dem EGMR, sondern vor unzähligen nationalen Gerichten werden. Das heißt, die Politik muss handeln. Aber wie?

 

Die Mobilität könnte ein Schlüssel zu ersten effektiven und schnell umzusetzenden Maßnahmen sein. So ist zum Beispiel in mehr als der Hälfte der österreichischen Bundesländer der Verkehr der größte Verursacher von CO2-Emissionen (Salzburg: 51,8 Prozent). Wenn man hier den Hebel ansetzt, kann man viel erreichen. So lassen sich zum Beispiel die Treibhausgasemissionen bei Tempo 100 im Vergleich zu Tempo 130 um knapp ein Viertel reduzieren. So gesehen ist eine Senkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit die effizienteste Maßnahme zur Reduktion verkehrsbedingter Treibhausgasemissionen. Außerdem eine wirkungsvolle Maßnahme zur Sicherheit im Straßenverkehr, also zur Reduktion der Zahl der Verletzten und Getöteten und eine Maßnahme zur Reduktion der Abhängigkeit von fossilen Treibstoffen. Zu diesem Urteil gelangten österreichische Expertinnen und Experten auf Basis zahlreicher wissenschaftlicher Studien Anfang Februar 2023 und teilten dies in einem Offenen Brief mit, in dem sie eben eine Temporeduktion auf Österreichs Straßen forderten (auch Tempo 80 für Landstraßen und Tempo 30 für das Ortsgebiet). Ebenso spricht für Tempo 100 die signifikante Lärmreduktion, weniger Feinstaub und auch die Kostenersparnis für jede und jeden einzelnen. Die Maßnahme ist außerdem ein leicht umzusetzender und gleichzeitig schnell wirksamer Schritt. Wenn da nicht ein ABER wäre, denn die Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher lehnen trotz aller wissenschaftlich erwiesenen Vorteile ein Tempolimit auf 100 km/h auf Autobahnen ab. 37 Prozent sind strikt, weitere 22 Prozent sind eher dagegen, wie eine Umfrage vom Meinungsforschungsinstitut Unique Research ergab. Trotzdem: Man wird um diese Maßnahme nicht herumkommen. Darum lieber früher als später.

 

Zweite Möglichkeit: Fahrzeuge haben nicht nur im Betrieb, sondern auch bei der Herstellung und Entsorgung eine Wirkung auf die Umwelt und das Klima. Aktuelle Studien bescheinigen Elektroautos eine etwa 40 Prozent klimafreundlichere Wirkung als Pkw mit Benzin- oder Dieselmotor. Bei einem raschen Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung steigt dieser Klimavorteil für auf rund 55 Prozent. Ein einfaches Rechenmodell: In Österreich werden 3,3 Mrd. Liter fossile Treibstoffe für die Zurücklegung von 50,5 Mrd. privaten PKW­-Kilometern verbrannt. Umgerechnet auf Strom sind das auf Basis der Brennwert-Berechnung 31,5 Terrawattstunden (TWh). Da Elektroautos deutlich energieeffizienter (bis zu fünfmal) sind als Verbrenner, wären für dieselbe Menge an privaten Kilometern -  mit Strom zurückgelegt - nur mehr 8,6 TWh Strom nötig. Derzeit werden in Österreich jährlich 72 TWh Strom verbraucht, es entstünde also ein Mehrbedarf von 14 Prozent. Das ist leicht zu stemmen, denn alle Energie, die in und aus fossilen Energiequellen stammt, ginge im Gegenzug nahezu auf Null. Diese Null gilt dann auch für den CO2-Ausstoss des Individual-Verkehrs. Wie kann man das erreichen? Indem man die Förderungen für die Anschaffung von E-Autos weiterbestehen lässt und idealerweise noch erhöht, um die Umstellung auf E-Mobilität zu beschleunigen.

 

Zugegeben, das war jetzt ein Beitrag mit vielen Zahlen, aber mit großartigen Zukunftsaussichten. Diese Zahlen zeigen uns deutlich, dass auf die Effizienzsteigerung durch batteriebetriebene Elektrifizierung des Verkehrs in Österreich nicht verzichtet werden kann, um den Schadstoffausstoß in wirklich großen Mengen mit zwei einfachen Maßnahmen zu reduzieren. Liebe Politik: Es ist möglich, man muss es nur tun. Am besten, noch bevor aufgrund des Urteils gegen die Schweiz auch bei uns geklagt wird...

 

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