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6. Etappe | Tag 11: Von Vlora nach Tirana (Albanien)

Wir wachen auf, nun auf der anderen Seite der Adria. In Albanien. Wenn wir nach Albanien kommen, betreten wir eine Welt, die, mit all ihren Brüchen jede universale Erfahrung Lügen straft. Schon linguistisch tritt das zutage – Albanisch ist eine alleinstehende indoeuropäische Sprache, mit nichts vergleichbar. Religionen: Eine Moschee neben einem Kulturzentrum mit modernistischen Formen in Tirana, eine Kirche, die eine Moschee gewesen war und davor wiederum Kirche an der Mündung des einzigen schiffbaren Flusses des Landes, in Shkodër, im Norden. Die Gegensätze sind nur scheinbare, wir sitzen am Skanderbergplatz in einem Bistro, aus dem Lautsprecher kommt R&B in ziemlicher Lautstärke, daneben der Singsang des Muhezin über einhundert oder mehr Betenden. Alles geht zusammen, alles vermischt sich. Man sieht überall paranoische  Bunkerpilze, aus Stein gehauene osmanische Städte wie Berat im Süden, geschützt von unterirdischen Tunnels im Hinterland der Xenophobie des Kalten Krieges. Ganze Blöcke im sowjetischen Stil, von im Grunde genommen bescheidenem Umfang, die einmal dick übertüncht wurden, schliessen an deformierte, einst auf dem Reissbrett geplante Plätze, und bilden die urbane Ästhetik der letzten zwei bis drei Jahre. Der Balkan weiß eben zu überraschen. Albanien ist touristisch gerade auf dem Vormarsch, Städte wie Vlora oder Durres zeugen davon. Hotel an Hotel, Strand an Strand, Autokolonnen, die sich durchwälzen. Wer sich auf das Land einlässt, muss einiges aushalten, wird aber im Hinterland eine schlummernde Schönheit finden. 

Aktuell sind wir in Tirana. Zugegeben - nicht die Venus der Städte, aber ohne Frage eine spannende Entdeckung: Albaniens Hauptstadt Tirana strotzt vor sozialistischem Protz, grauen Plattenbauten und gleichermaßen modernen Gebäuden wildgewordener Architekten. Doch es gibt viel mehr zu entdecken, als man vielleicht zuerst annehmen würde. Eine Stadt im Aufbruch, die voller Energie dem einst kommunistischen Regime den Rücken kehrt. In Tirana fasziniert vor allem die Mischung aus italienischen Villen, stalinistischem Prunk und muslimischer Balkanarchitektur. Albaniens heutige Hauptstadt war lange ein Bergdorf, bevor Italiens faschistische Architekten in den dreissiger Jahren ihm ein urbanes Zentrum gaben. Seit fast 100 Jahren ist Tirana nicht nur Hauptstadt, sondern unangefochtenes kulturelles Zentrum Albaniens. Wahrzeichen ist das Reiterstandbild von Skanderberg, bedeutende Zeugnisse osmanischer Baugeschichte, wie die Et’hem-Bey-Moschee oder der Uhrturm, schließen sich an. Kulturpalast und Nationalmuseum stehen für den monumentalen Stil neuerer Zeit. 

 

Tirana ist aber auch improvisiertes Chaos. Allerdings pulsierend vital. Sie ist heute mehr orientalische als europäische Stadt und mit einer jüngeren Bevölkerung als überall sonst in unserem Teil der Welt, macht einen eher die Goldgräberstimmung schwindelig, als dass man sich von der Luftverschmutzung oder der baulichen Verunstaltung deprimieren liesse.

Laden: Albanien war ein großer weißer Fleck auf unserer Lade-Infrastruktur-Landkarte. Die Statistik weist gerade mal 15 Ladepunkte auf im ganzen Land. Das ist falsch, das können wir nun mit Gewissheit sagen. In Vlora hatten wir ein Hotel mit Lademöglichkeit, in Tirana ebenso, dazwischen gab es unzählige, fast alle Tankstellen entlang der Autobahn haben auch Ladesäulen, in den Städten gibt es viele kleine, sogar mit Kreditkarten-Zahlung. Also keine Panik. Die Lademöglichkeiten in Süditalien waren teils dürftiger. Auch die Dichte an E-Autos ist hier wesentlich größer.

 

In Albanien macht das auch wirklich Sinn. Man glaubt es fast nicht, aber Albanien ist Vorreiter in Europa in Sachen Grünstrom. Das Land steht heute so gut da, weil es niemals damit begann, Kohle- oder Atomkraftwerke zu errichten. Man wirtschaftete schon früh mit dem, was man hatte: Sonne und Wasser. Um das Land unabhängig mit Energie versorgen zu können und auf Energieimporte aus dem Ausland verzichten zu können, lagen hier bereits vor Jahren die erneuerbaren Energien nahe. Nun profitiert das Land von diesem Schritt. Der Bürgermeister von Tirana, Erion Veliaj, hat zudem eine Initiative gestartet: Weil in der albanischen Hauptstadt über 800 Taxis lizenziert waren, die alle jährlich 3200 Tonnen Kohlenstoff produzierten, hat er mit einem Kraftakt 60% der Flotte gegen elektrische Fahrzeuge getauscht, im Straßenbild wirken diese grünen Taxis wie 100%. Damit nicht genug, auch der städtische Verkehr soll sich verändern, indem schon bald eine Flotte von Elektrobussen auf den Straßen der Hauptstadt unterwegs sein wird, was auch zu einer deutlichen Reduzierung der Umweltverschmutzung führen wird. Wow. Beispielgebend.

Was uns sonst noch positiv aufgefallen ist: Im Vergleich zu Apulien sind die Straßen und Straßenränder auffallend müllbefreiter...

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